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Toleranz und Verantwortung

Wie steht es in der konstruktivistischen Erkenntnistheorie mit der Vernunftfähigkeit und mit der ethischen Verantwortung? Einerseits hat der Konstruktivismus interessante Erklärungsmodelle, andrerseits ist eine gewisse "Systemblindheit" festzustellen.

Tun in der Koexistenz mit anderen (Maturana und Varela)

Alles, was wir denken und tun, geschieht in Koexistenz mit anderen. Da wir aufeinander angewiesen sind, ist solidarisches Handeln gleichsam "naturnotwendig".

"Es ist eine Ethik, die aus der menschlichen Reflexion entspringt und die die Reflexion, die das Menschliche ausmacht, als ein konstitutives soziales Phänomen in den Mittelpunkt stellt." (Maturana / Varela 1987)

Toleranz und Verantwortung aus uns heraus (Watzlawick)

Toleranz entstehe aufgrund der Einsicht in die Begrenztheit und Subjektivität des eigenen Erkennens. Wir wissen um die Grenzen unserer Konstrukte und anerkennen deshalb auch die Grenzen der Konstrukte anderer.

Verantwortung, die für uns und andere gilt, entsteht aus der Erkenntnis, dass wir selbständig denken und entscheiden können. Wir übernehmen die Verantwortung für unsere Konstrukte. Watzlawick zeigt in seinen Untersuchungen über die selbsterfüllenden Prophezeiungen, dass Konstruiertes sich durchaus erfüllen kann. Dies in Bezug auf uns selbst, wie auch auf andere Menschen in unserer Umgebung.

Der ethische Imperativ (Heinz von Foerster)

Handle stets so, dass für dich, wie auch für deine Umgebung weitere Möglichkeiten entstehen, ruft uns Heinz von Foerster zu. Wahrlich ein hoher Anspruch! Aber immer wieder möglich zu leben.

Verantwortung für das Sehen der Welt ist bei uns (v. Glasersfeld)

Durch die Erkenntnis, dass wir uns unsere eigene Welt konstruieren, ist viel Autonomie verbunden. Zu Autonomie gehört jedoch auch Verantwortlichkeit.

"Wenn wir also verantwortlich handeln wollen, dann müssen wir auch die Verantwortung übernehmen für die Art und Weise, in der wir die Welt sehen." (v. Glasersfeld, 1992)

Der Konstruktivismus ist keine hinreichende Begründung für verantwortliches Handeln

So schön dies alles tönt, verantwortliches und tolerantes Handeln ist auf dieser Welt noch nicht Mass aller Dinge!

Die Argumente des Konstruktivismus können Hilfen sein, Erklärungmodelle abgeben, aber sie begründen verantwortliches tolerantes Handeln nicht.

Die Gesellschaft besteht nicht nur aus erkennenden und kommunizierenden Subjekten. Leuten, denen Ethik wichtig ist, gibt der Konstruktivismus Begründungen. Was aber mit den Menschen, die Profit, Macht und Herrschaft suchen? Wie wird auf unserer Welt mit Macht umgegangen?

Konstruktivismus stärkt die Autonomie und die Selbstverantwortung des Einzelnen. Das ist befreiend und wohltuend. Es besteht aber auch die Gefahr ungerechte Verhältnisse und Machtsituationen zu "verniedlichen". Vor allem dann, wenn man den "Schwächeren" zuweisen, dass sie ja selber für ihr "schwaches" Konstrukt zuständig seien.


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Übersicht Konstruktivismus

Alle Themen von Konstruktivismus  
1 Evolution ist selbstorganisiert
2 Lernen durch Koevolution
3 Systemtheorie
4 Viabilität des Wissens
5 Kontingenz und Zirkularität
6 Gedächtnis und Erinnerung
7 Wissen
8 Perturbation - Krise - Reframing
9 Toleranz und Verantwortung
10 Lernchreoden und Driftzonen