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Systemtheorie

Offenheit und Vertrauen

Vertrauen und Offenheit erweisen sich als zwei eng miteinander zusammenhängende grundlegende Voraussetzungen für einen förderlichen Umgang mit Systemen. Dabei geht es sehr stark um Haltungsfragen. Gerade im Bereich Offenheit gibt es in der Realität leider viel Einschränkendes und offene Fragen.

Heinz von Foerster erzählt 1993 eine Geschichte, die das Thema Offenheit und Vertrauen verdeutlichen kann:
Ich habe einen lieben Freund, der in Marrakesch aufgewachsen ist. Das Haus seiner Familie stand auf der Strasse, die das jüdische von dem arabischen Viertel trennte. Als Jugendlicher spielte er mit all den anderen Kindern, hörte sich an, was sie dachten und sagten, und lernte ihre grundsätzlich verschiedenen Ansichten kennen.
Als ich ihn einmal fragte, wer denn recht hätte, antwortete er mir, beide hätten recht.
Aber das kann doch nicht sein, beharrte ich auf meinem aristotelischen Standpunkt, nur einer kann im Besitz der Wahrheit sein!
Das Problem ist nicht die Wahrheit, antwortete er, das Problem ist das Vertrauen.

Deutungen sind real!

Das sogenannte Thomas-Theorem besagt: Wenn Menschen Situationen als real definieren, sind sie in ihren Konsequenzen real (Merton, 1968).

Watzlawick hatte in seiner Arbeit grosse Erfolge, indem er mit den Menschen ihre Auffassung von Wirklichkeit anschaute und dann mit ihnen versuchte, diese an eine neue, ev. notwendige Wirklichkeit anzupassen.

Diese Erkenntnisse führen dazu, dass es in der betrieblichen Selbstorganisation notwendig wird, vorerst zu schauen, welche Deutungen und Interpretationen vorherrschen. Die sogenannte "soziale Dimension" sollte bei Entscheiden berücksichtigt werden, wenn damit eine "gute" Wirkung erzielt werden sollte.

Hier wird von einem Denken zweiter Ordnung gesprochen. Baecker schreibt 1994:
Politiker kümmern sich nicht mehr um Lösungen von Problemen, sondern darum, welche Leute die Lösung welcher Probleme mit Wählerstimmen honorieren könnten. Investoren an der Börse interessieren sich nicht, wie sich der Wert bestimmter Aktien aufgrund der Ertragsentwicklung der ausgebenden Unternehmen entwickeln könnte, sondern welche Entwicklung andere Investoren erwarten. Man prognostiziert nicht Entwicklungen, sondern Prognosen, und erfasst dadurch die tatsächliche Marktentwicklung. Man erwartet nicht, was geschehen könnte, sondern versucht, seine Erwartungen daran zu orientieren, was andere erwarten könnten. (...) Nicht was Leute tun, ist ausschlaggebend, sondern wie andere beobachten, was sie tun.

Geschlossene Systeme ersticken sich selber

Auf die Idee des Erstickens kam ich durch meine Freundin, die beim Zuhören meinte: Das ist ja wie erstickte Selbstorganisation.

Geschlossene Systeme versuchen immer wieder mit dem Lösungsansatz "mehr desselben" weiterzukommen. Dies ist häufig damit verbunden, dass weitere Eskalationen geschehen und Probleme verschärft werden. Disziplinarische Probleme im Schulalltag werden gerne mit noch mehr Regeln angegangen. Dies führt jedoch in den seltensten Fällen zu einer Lösung.

Diese Eigenart von sozialen Systemen kann durch eine Öffnung nach innen und nach aussen angegangen werden.

Vester denkt, dass nur offene Systeme lebensfähig sind. Systeme mit folgenden Verhalten werden scheitern. Er zitiert 1992 Malik:
In der Praxis wird dann einem Versagen der Reglementierung mit noch mehr Reglementen begegnet, einem Davonlaufen der Kosten mit noch mehr Budgetierung und Kostenkontrolle, auf Planungsfehler wird mit noch mehr Planung reagiert, usw.

Die notwendige Offenheit komplexer Systeme

In neueren Systemtheorien wird eine Offenheit der Führung verlangt:
--> eindeutige und offengelegte Organisations- und Unternehmensstrukturen und Verantwortlichkeiten, damit sich der Mitarbeiter zurechtfinden kann,
--> die Fähigkeit zuzuhören, zu verstehen und erst danach zu handeln,
--> deutlich zu machen und zu begründen, warum z.B. zu einem bestimmten Zeitpunkt die volle Information noch nicht gegeben werden kann,
--> Vertrauen zu haben in die Kreativität und Kompetenz der Mitarbeiter (Einstellung: Sie können etwas, das sich mit meinem Wissen ergänzt),
--> deutlich machen und begründen der Entscheidungen und deren Hintergründe (Semen, 1993).

Die zweite grundlegende Eigenschaft in komplexen Systemen ist das Vertrauen. Es bedeutet, dass Manager viel mehr Selbstorganisation ermöglichen müssten. Sie könnten sich dann darauf beschränken dort zu führen, wo die eigenen Systemkräfte nicht (mehr) ausreichen.

Das Challenger-Unglück 1986 scheint ein solches Vertrauensproblem aufzuzeigen. Die Ingenieure der Firma, welche das problematische Teil geliefert hatten, wiesen klar auf die Gefährlichkeit des Starts hin. Da sie jedoch vier Hierarchiestufen unterhalb der Entscheidungsträger waren, wurden sie gar nicht gehört. Das Entscheidungssystem war nicht offen.

Ethische Fragen

Bei diesen Vorstellungen scheint es einen "missing link" zu geben. Beim sogenannten "lean management" werden vordergründig menschliche Ressourcen, Vertrauen und Offenheit eingesetzt. Gleichzeitig aber ist der Druck für die Mitarbeiterinnen enorm gewachsen: erhöhter Leistungsdruck, gestiegene Arbeitslosigkeit.

Es scheint, dass gewisse Autoritätsstrukturen zu "moderneren" Techniken greifen wollen und dabei die zuvor offene Autorität durch eine verdeckte ersetzen. Dass dies für die beteiligten Menschen sehr problematisch ist, leuchtet wohl ein.

Erich Fromm ist überzeugt davon, dass die Menschen zu mehr Ethik kommen sollten. Er plädiert zu mehr Sein und weniger Haben. Zitate:
Erst wenn der Zweck der Gesellschaft mit (dem) des Menschseins identisch ist, wird die Gesellschaft aufhören, den Menschen zu lähmen und sein Streben nach Herrschaft zu beflügeln.
Der Mensch hat die Aufgabe, seine Humanität zu entwickeln, und findet im Entwickeln dieser Humanität eine neue Harmonie. Dies ist dann auch der einzige Weg, wie er sein Problem lösen kann: ganz zur Geburt zu kommen.

Eine geklärte ethische Grundhaltung ist wohl eine wichtige Voraussetzung für systemisches Denken und Handeln.

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