Vierte Schulwoche

Die Grenzen erfahren

Längere Einstiege am Morgen
Ich denke nach wie vor, dass es sehr wichtig ist, den Kindern Angebote zu machen, in denen sie sich spüren und wahrnehmen können. Wir holten Dinge aus der Natur (Steine, Blätter), fühlten sie, rochen an ihnen, erspürten sie mit geschlossenen Augen, erkannten sie blind, usw. Mit einer Fantasiereise erlebten wir eine Geschichte.

Am Freitag folgte ich spontan einer Idee. Ich hatte das Gefühl, dass einige Kinder einfach immer wieder ihre Grenzen selber kaum spüren, geschweige denn die Grenzen der andern wahrnehmen können. So liess ich sie mit Seilen Kreise auf den Boden legen. In diese Kreise setzten sie sich dann und fühlten einfach mal, wie das ist. Dann ging es darum, die eigene Grenze zu fühlen. Die Kreise wurden verschieden gross gemacht und wieder ging's darum, zu spüren, wie das ist. Ich erklärte den Kindern, dass ich es als unangenehm erachte, wenn jemand über meine Grenze käme, manchmal sei dies sogar richtig böse. Da sei es wichtig, sich abgrenzen zu können. Ein klares "Nein" sei immer wieder wichtig. Ich sprach da auch mit unserem einzigen Mädchen, welches sich bei den Knaben abgrenzen soll. Wir versuchten dies auch zu erleben, indem wir den andern in die Kreise traten. Einige Kinder konnten spüren, was ich zeigen wollte.

Zu neuen Kräften kommen
Immer wieder stosse ich auch an meine eigenen Grenzen. Manchmal habe ich das Gefühl, in diesen Kinderköpfen ist vor allem Leere. Sie haben wenig eigenen Antrieb. Wenn sie eine Geschichte schreiben sollten, dauert dies bei vielen sehr lange, bis nur ein wenig zu Papier gebracht ist. Es scheint sehr schwierig zu sein, Gedanken, Fantasien zu haben, sie zu spüren und dann auch noch aufzuschreiben.

Und wenn dann noch dazu kommt, dass viele Kinder einander kritisieren, miteinander streiten (aus für mich "unmöglichen" Gründen), einander stören und kaum Ideen für konstruktive Lösungen haben, ertrage ich es einfach manchmal nicht mehr.

Am Freitagmorgen war ich um elf Uhr so geschafft, dass ich die Kinder am liebsten nach Hause geschickt hätte. Mehr als die Hälfte des Morgens ging mit Streitgesprächen drauf. Ich mochte nicht mehr. Dies sagte ich den Kindern auch. Die anschliessende Turnstunde liess ich sie Fussball spielen. Ich leitete nicht, war einfach dabei. Ging manchmal zurück ins Schulzimmer und liess mir einfach das Geschehene nochmals durch den Kopf gehen. Ich merkte, wie ich einfach nicht mehr in der Lage war, die Ressourcen zu sehen. Die "Auszeit" half mir jedoch, den Nachmittag wieder gut anzugehen. Die Ressourcen waren wieder sichtbar.

Solche "Auszeiten" finde ich wichtig. Sie helfen mir, wieder zum Wesentlichen zu gelangen.

C. ist einen halben Tag bei uns
In unserem Dorf gibt es einen Knaben, von dem viele Geschichten erzählt werden. Seine familiäre Situation ist schwierig. Seit längerer Zeit besucht er keinen regulären Schulunterricht mehr. Er wird einzeln unterrichtet. Probleme in Normalklassen, Heimaufenthalte und weitere schwierige Situationen prägten seine bisherige "Laufbahn". Nun ist scheinbar in der Familie Ruhe eingekehrt und eine neue Integration in die Normalschule ist möglich.

C. besucht uns versuchsweise mal einen Morgen. Später sind weitere Besuche geplant. Wenn möglich soll C. in unsere Klasse kommen.

Es läuft gut. Zuerst machen wir die übliche Einstimmung. Anschliessend mache ich mit C. ein "Interview". Die andern hören zu und zeichnen. Im weiteren schreiben wir eine starke Geschichte mit C. als Mitwirkendem und anschliessend Mathe. In der Schlussrunde zeigt sich, dass auch für die andern Kinder dieser Morgen erstaunlich gut lief.