aus dem Buch

Von der Zähmung der Monster

Oder "Die Externalisierung von Problemen".
Gedanken zum narrativen Ansatz in der Familientherapie nach dem Buch "Die Zähmung der Monster" von Michael White und David Epston

Erzählungen sind Interpretationen

Ich unterrichtete in einem kleinen Dorf auf dem Land. Hier lebt ein alter Mann, den alle den "Sigerscht" nennen. Er verbrachte sein ganzes Leben hier und weiss wirklich Bescheid. Das versuchten wir zu nutzen. Immer wieder besuchten ihn Kinder meiner Klassen und fragten ihr über die Dorfgeschichte und seine Erlebnisse aus. Ich staunte über die Genauigkeit, wie er die Geschichten erzählte. Daten konnte er auf den Tag genau zuordnen. Er wusste, wie das Wetter an diesen Tagen war und er konnte sich immer wieder auch an andere Details genau erinnern.
Nach mehrmaligen Interviews fiel mir jedoch auf, dass die gleichen Ereignisse immer wieder andere Details aufwiesen. Das Datum war manchmal um mehrere Jahre "verschoben", das Wetter unterschiedlich und auch andere Nebengeschichten stimmten nicht überein. – Wollte uns dieser Mensch aufziehen? Log er?Diese Geschichte kam mir in den Sinn als ich erstmals mit der Aussage konfrontiert wurde, dass jede Geschichte jeweils eine subjektive Interpretation des Ereignisses ist. Ich stiess auf diese Aussage im Buch "Die Zähmung der Monster" von Michael White und David Epston, auf das ich im Folgenden immer wieder Bezug nehme.

Verschiedene Autoren beschreiben den konstruktivistischen Ansatz in verschiedenen Disziplinen. Für unser Beispiel ist die Aussage "Die Landschaft ist nicht das Territorium" oder besser " Die Erzählung ist nicht das Ereignis" von Bedeutung. Jede Geschichte, die wir erzählen, wird von uns neu konstruiert. Wir lassen aus; wir messen verschiedenen Ereignissen unterschiedliche Bedeutungen zu; wir beziehen uns auf unsere Lebenserfahrungen und Werthaltungen. Jede Geschichte, die erzählt wird, ist ein Ausschnitt, der vom Erzählenden bestimmt wird. Erzählende messen Ereignissen bestimmte Bedeutungen zu.

Diese Bedeutungen sind bestimmt durch die Erfahrungen der Erzählenden in der Vergangenheit, sie haben aber auch Hinweise für die Zukunft und nehmen Bezug auf die aktuell gelebte Gegenwart. Unsere Kenntnisse sind demnach nicht objektiv. Unser Wissen, unsere Erkenntnisse über das Leben können nur durch die Deutung unserer gelebten Erfahrung entstehen.

"Davon ausgehend, dass Menschen ihre Erfahrungen ordnen und ihnen eine Bedeutung verleihen, indem sie Erfahrung in Geschichten fassen, und dass sie mit der Ausführung dieser Geschichten die von ihnen gewählten Aspekte gelebter Erfahrung ausdrücken, kann angenommen werden, dass es diese Geschichten sind, die das Leben und die Beziehungen formen" (Epston/White, S.27)

Neue Geschichten finden

Katja "weiss", dass Gespräche wirklich nichts nützen. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass sie in Gesprächen häufig keine Chance hat, ihre eigenen Ideen gut einzubringen. Sie verweigert vor allem auch Mediationsgespräche, die dazu dienen sollten, mit Konflikten umgehen zu lernen.

Mich macht dieses Verhalten machtlos. Ich weiss eigentlich, dass es ihr so gut tun würde, wenn sie konfliktfähiger würde. Alles Zureden nützt jedoch nichts.

Zum Glück geht sie auf meinen Vorschlag ein, miteinander Geschichten zum Thema zu finden. Nachdem wir der Sache einen Namen gegeben haben, suchen wir also viele Geschichten. Schmerzvolle Geschichten, aber auch Geschichten, die als "gut" bei ihr angekommen sind.. Nachdem wir eine Sammlung vieler solcher Geschichten aufgebaut haben, beginnen wir die "guten" Geschichten darauf zu untersuchen, was es denn ausmacht, dass Katja diese als sinnvoll erlebt. Es kommt ein ganzer Katalog Ideen zusammen.

Zusammen mit dieser Arbeit nimmt die Verweigerung Katjas merklich ab. Das Dranbleiben an den Geschichten hilft ihr, weitere Fortschritte zu erzielen. Schliesslich tritt das verstockte Verhalten nur noch wenig auf.


Katja hat in ihren Erzählungen immer wieder Elemente gelebter Erfahrung drin, die beherrschend sind. Sie interpretiert Gespräche als etwas, in welchem sie Verliererin ist. Dies bestimmt ihr Verhalten. Viele Verhalten, die wir im Alltag ohne grosses Nachdenken leben, haben diese beherrschenden Elemente. Das ist auch gut so. Wenn es uns damit gut geht, besteht kein Grund, neue Geschichten zu erfinden.

Auf der Suche nach neuen Geschichten ist es wichtig nicht beherrschende zu finden. Diese werden "einmalige Ereignisfolgen" genannt. Mit Hilfe dieser einmaligen Ereignisfolgen können Veränderungen im Verhalten eingeleitet werden, die eine Verbesserung der bisher gelebten Situationen bewirken. In den einmaligen Ereignisfolgen finden sich oft auch Ansätze bislang wenig gelebter positiver Erfahrungen.

"Sobald die Betroffenen Zugang zu neuen Geschichten bekommen, können andere "sympathische" und bisher vernachlässigte Aspekte ihrer Erfahrung zum Ausdruck kommen und in Umlauf gebracht werden." (Epston/White, S.30)

Weg von der Schuld

Simon und Ralf sitzen nebeneinander. Beide lernen nicht so gerne. Viel lieber rennen sie herum und stellen irgend etwas an. Sie wollen aber auch immer wieder zusammenarbeiten. Leider läuft das jeweils nicht sehr gut. Allzusehr lassen sie sich von all dem, was sie umgibt, ablenken.

So nahm ich die beiden zusammen und erklärte ihnen, wo ich die Schwierigkeiten sehe. Ich fragte sie, ob sie einverstanden seien, die Situation für sie zu verbessern. Das waren sie. Also gingen wir auf die Suche nach einem Namen für diese Situation.

Das Necken. Das Sticheln. Die Freude. Das Witzigsein. Das Stören. Solche Begriffe fanden die beiden Knaben. Auf meine Frage, welches denn ihre Situation am besten treffe, erfanden sie einen neuen Namen: die Ablenkung.


Bei diesem Vorgehen geht es nun darum, dem Problem einen Namen zu geben. Damit wird die Sache, von den Beteiligten weggenommen. Es braucht keine Diskussionen über die Schuldfrage. Damit wird die Problematik stark entlastet. Niemand braucht sich als Versager zu fühlen. Dieses sogenannte Externalisieren eröffnet neue Möglichkeiten mit dem Problem umzugehen. Betroffene Menschen können gelassener an die Sache herangehen und werden weniger belastet.

Oft genügt ein einfacher Hinweis "Ist die Ablenkung jetzt stärker als ihr" um eine sofortige Verhaltensänderung herbeizuführen.

Durch das Externalisieren sind nicht mehr die Personen oder die Beziehungen das Problem, sondern das Problem selber ist das Problem. Die externalisierten Probleme sind eigenständige "Wesen".

Möglicher Verlauf neue Geschichten zu finden

Die folgende Ablaufbeschreibung ist eine Möglichkeit mit dem Erkennen von bestimmenden Geschichten, mit dem Externalisieren und mit dem Finden neuer Geschichten umzugehen. Auch hier nehme ich stark Bezug auf das Buch von White und Epston.

1. Das Bedürnis zu Problemlösung abklären


--> zum Beispiel mit einer Einpunktfrage

2. Befragung nach dem relativen Einfluss des Problems

Diesen Teil habe ich in der Beschreibung in weitere Schritte unterteilt.

2a.
Der Einfluss der Betroffenen auf das Problem und die Beziehungen der Betroffenen


--> Welche Auswirkungen hat das Problem aufs Zusammenleben / aufs Leben überhaupt?
--> Welchen Einfluss hat das Problem auf dich? Euch?Woran hindert euch das Problem?
--> Welche Gefühle löst das Problem aus?Welche Einschränkungen auferlegt das Problem den Betroffenen?
--> Welche Beziehungen werden durch das Problem auf welche Weise verändert?
--> Dem Problem wird sinnvollerweise ein Name (der Dreckmacher, die Versuchung, die Schuldgefühle, ...) gegeben. Dieser Name kann sich im Laufe der Zeit verändern.

2b.
Der Einfluss der Betroffenen auf das Problem, die eigene Beziehung zum Problem


Es geht darum, zu entdecken, wann und wie Betroffene Einfluss auf das Problem haben konnten.Dieser Schritt ist oft sehr schwierig, vor allem, wenn es um schon lange dauernde schwere Probleme handelt.

--> Wann konnte das Problem keine Macht entwickeln?
--> Wo konnte der Herausforderung des Problems getrotzt werden?

3. Herausarbeitung neuer Geschichten

--> In welchen neuen Situationen hatte das Problem keine Macht mehr?
--> Wie kann das Problem immer wieder übertölpelt werden?
--> In welchen neuen Geschichten wurde der Einfluss des Betroffenen auf das Problem gestärkt?
--> Auf welche Weise geschah dies?

4. Weitere Methoden

-->
Verwendung von Briefen: Einladungen, Entlassungen, Vorhersagen, Referenzschreiben etc.
--> Protokolle von Sitzungen als Briefe

Die Themen auf dieser Seite:

Externalisierung - eine kurze Übersicht Kurze Übersicht über das Buch von Epston und White "Die Externaliserung von Problemen"

aus dem Buch Von der "Zähmung der Monster" Oder "Die Externalisierung von Problemen". Gedanken zum narrativen Ansatz in der Familientherapie nach dem Buch "Die Zähmung der Monster" von Michael White und David Epst...

Bericht aus der Schule Ein Bericht aus dem Schulalltag, der zeigt, in welcher Form die Externaliserung daherkommen kann.